BIOKITSCH ... ODER ...?  
  Nach engagierter Debatte stimmt der Bundestag mit knapper Mehrheit dem umstrittenen Holztrog-Kunstprojekt für das Reichstagsgebäude zu
 
"Biokitsch" für das Parlament
oder Zeichen der Verantwortung?
 
Von Christian Kerl, Berlin
  Die Kritiker warnten vor dem "Gesinnungs-TÜV für Abgeordnete" und fühlten sich veralbert, die Befürworter fürchteten eine "Blamage für das Parlament" und verlangten ein "Zeichen der Verantwortung für alle Bürger". So heftig diskutiert wie gestern hat der Bundestag selten über Kunst, so gestritten hatte er noch nie über ein einzelnes Kunstwerk - oder war Hans Haackes Holztrog-Idee doch bloß "Biokitsch", wie Vizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) lästerte? Dies zu entscheiden, fiel auch dem Parlament offenkundig schwer: Mit der knappen Mehrheit von 260 zu 258 Stimmen bei 31 Enthaltungen bestätigten die Abgeordneten am Abend das umstrittene Kunstprojekt und lehnten das Ansinnen ab, auf die Anlieferung der 374 000 Mark teuren Installation zu verzichten. Der Stein des Anstoßes wird nun also den Nordhof des Reichstagsgebäudes zieren: Der 64jährige Haacke, in New York lebende Konzeptkünstler, will dort einen riesigen Trog aus Holz aufstellen, in den jeder der 669 Abgeordneten einen Zentner Erde aus dem Wahlkreis füllen soll. Über dem - gärtnerischem Zugriff versperrten - Parlamentsbiotop sollen die Worte "Der Bevölkerung" in 1,20 Meter hohen Leuchtbuchstaben stehen. Damit will Haacke einen Gegensatz schaffen zur Inschrift "Dem deutschen Volke" am Westgiebel des Reichstags und so den Missbrauch des Wortes "Volk" durch eine völkische Ideologie deutlich machen. Den Kunstbeirat des Parlaments unter Leitung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse hatte Haacke früh überzeugt, doch dann rebellierten Abgeordnete, anfangs vor allem aus dem konservativen Lager, gegen die "Diffa- mierung des Begriffs deutsches Volk". Der CDU-Abgeordnete Norbert Lammert, der 180 Parlamentarier, vor allem der CDU und FDP, gegen das Projekt organisiert hatte, schimpfte gestern über eine "skurrile Bundesgartenschau" und eine "groteske Albernheit". Über die Qualität des Werks sollten andere urteilen, es gehe auch nicht um Zensur - aber der Bundestag müsse entscheiden, ob er sich im eigenen Haus mit eigener Zustimmung lächerlich machen wolle, mahnte Lammert. Die Befürworter des Projekts, unter ihnen Thierse, forderten dagegen "Freiheitsraum für die Kunst". Die Kunst dürfe auch als Zumutung wirken und Spannungen deutlich ma- chen, verlangte der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen. Das Parlament dürfe auch nie die Verantwortung für alle Menschen in Deutschland - egal ob Deutsche oder nicht - vergessen. Rita Süssmuth (CDU) beklagte, dass hunderte Bürger in Briefen mit ausländerfeindlichen Tönen das Projekt als "Verrat am Vaterland" brandmarkten. Doch gegen solche pauschale Einordnung wehrten sich die Kritiker des Holztrogs. "Wer dagegen ist, signalisiert nicht, dass er rechts ist", sagte Vizepräsidentin Vollmer. Die Grüne machte ästhetische Gesichtspunkte geltend, sprach von einem "skurrilen Erdritual" und beklagte einen Fehler im Konzept: Viele der Abgeordneten, die das Projekt ablehnten, würden wohl kaum "mit einem Sack Erde anrücken, um sich so von nationalen Begriffen zu reinigen". Eine Reihe von Parlamentariern hat tatsächlich schon "passiven Widerstand" angekündigt. Haacke mahnt indes, zu seinem Werk gehöre das "Prinzip Kooperation", das auch Teil der Demokratie und der Tätigkeit der Abgeordneten sei. Doch im Parlament macht sich noch eine andere Sorge breit: Nachdem eine Entscheidung des Kunstbeirats so in Zweifel gezogen wurde, heißt es in der SPD, drohten bald weitere Debatten um Kunstwerke im Bundestag.
 
Braunschweiger Zeitung, 6. April 2000
15.09.2015
ZURÜCK