BLÖDSINNIG ...  
 
  Blödsinnig, niveaulos und falsch
Gute Kunst regt an - und auf.
HANS HAACKE hat mit seiner Arbeit
für den Berliner Reichstag gewaltig Staub aufgewirbelt
 
So viel Aufregung um ein Kunstwerk gab es seit Christos Reichstagsverhüllung nicht mehr. Da spricht der CSU-Politiker Peter Ramsauer von "Agitprop", für die er sich nicht "vereinnahmen lassen" möchte. Die Grüne Antje Vollmer schreit: "Biokitsch". Oscar Schneider von der CSU findet das Werk "peinlich, geschmacklos und töricht". Und Volker Kauder, CDU-Mitglied des Kunstbeirates, hält es gar für "verfassungswidrig".
Dabei will der Künstler Hans Haacke doch nur einen Holztrog in einen der Reichstagshöfe stellen. Die Bundestagsabgeordneten sollen ihn mit Erde aus ihrem Wahlkreis füllen, auf dass darin Gräser und Kräuter wuchern. In Leuchtbuchstaben soll der Schriftzug "Der Bevölkerung" darauf prangen - in Anlehnung an die Widmung "Dem deutschen Volke" über dem Portal.
Die CDU/CSU-Fraktion hat nun durchgesetzt, dass Mitte März im Plenum des Bundestags über Haackes Arbeit entschieden wird. Ein ungewöhnlicher Vorgang, womöglich gar ein Fall von Zensur, denn der Kunstbeirat des Bundestages hatte bereits für die Arbeit gestimmt.

Stern-Redakteurin Anja Lösel sprach mit Hans Haacke.
stern: Machen Sie Kunst, um zu provozieren?
Haacke: Nein. Ich bin überrascht, dass die Diskussion solche Dimensionen annimmt. Und ich hatte nicht erwartet, dass CDU und CSU so blödsinnig sind. Wenn ich etwas entwickle, dann denke ich nicht daran, daraus einen Skandal zu machen.
stern: Sind Sie verärgert?
Haacke: Ich fühle mich geschmeichelt, dass mein Thema so ernst genommen wird. Sehr enttäuschend finde ich allerdings das miserable Niveau der Kritik. Sogar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" werden meine Ideen in der übelsten Weise verdreht. Da werden mir Sachen in den Mund geschoben, die nicht stimmen. Mir wird angedichtet, ich sei ein Fan von Ulbricht und hätte etwas gegen die Wiedervereinigung. Das ist ein dicker Hund.
stern: Glauben Sie, die CDU/CSU-Fraktion hat eine Chance, sich durchzusetzen?
Haacke: Wahrscheinlich gibt es bei der Abstimmung keinen Fraktionszwang. Ich könnte mir vorstellen, dass auch SPD-Abgeordnete aus ihren Heimatgemeinden Sätze hören wie: "Ist doch Quatsch, dagegen musst du stimmen." Es wird schon ein bisschen brenzlig für mich.
stern:
Man wirft Ihrem Kunstwerk "Beigeschmack von Bodenideologie" vor.
Haacke:
Das ist natürlich eine Totschlagkeule. Anfänglich haben meine Kritiker noch gesagt: "Blut und Boden". Dann ließen sie das Blut weg, weil ihnen aufgegangen war, dass bei meinem Vorschlag kein Blut vorkommt. Ich richte mich ja entschieden gegen Blut als Erkennungszeichen, ob jemand ein Deutscher ist. Der Boden ist bei mir demokratischer Boden aus den Wahlkreisen. Was alle Menschen in Deutschland gemeinsam haben, ist der Boden, auf dem sie leben. Das als Bodenideologie abzutun ist demagogisch.
stern: Antje Vollmer sprach von "Biokitsch".
Haacke: Ach, die Frau Vollmer hat schon sehr viel schlimmere Sachen gesagt. Wenn sie mich für einen Kitschier hält, dann komme ich ganz gut dabei weg. Außerdem finde ich es komisch, wenn ausgerechnet eine Grünen-Abgeordnete sich gegen das Grünzeug im Reichstag ausspricht.
stern:
Wenn das Plenum Ihr Kunstwerk akzeptiert, werden sich trotzdem einige Abgeordnete weigern, Heimaterde in den Kübel zu schütten. Ist Ihre Arbeit dann wertlos?
Haacke: Nein. Aber ich möchte, dass so viele wie möglich sich dafür engagieren. Ein ganz wichtiger Teil des demokratischen Lebens ist ja: Man muss mitmachen, man muss mitwählen. Aber ich kann niemanden zwingen. Stellen Sie sich mal vor, die deutsche Polizei würde 669 Abgeordnete abholen und in der Erde graben lassen. Das ist doch Quatsch.
stern:
Und was machen Sie, wenn Sie das Kunstwerk nicht realisieren können?
Haacke: Gleichgültig, wie das Ganze ausgeht - ich zeige auf jeden Fall im Herbst eine Dokumentation dazu im Frankfurter Portikus.
  STERN 9/2000
16.09.2015
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