... WENIG HEIMATERDE
Im Reichstag nur wenig Heimaterde
Umstrittener Holztrog wird zum "teuren Flop"
Von Christian Kerl, Berlin

Es grünt im Bundestag. Brennnesseln, allerlei Gräser und ein paar Wildblüten sprießen in dem 21 Meter langen Holztrog, der den nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes ausfüllt: Es ist das heftig umstrittene Kunstprojekt "Der Bevölkerung" des Konzept-Künstlers Hans Haacke, der alle Abgeordneten eingeladen hatte, einen Sack Heimaterde in diesem Trog auszuschütten. Doch der idyllische Wildwuchs tarnt einen Flop: Ein Jahr, nachdem Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) das Projekt am 12. September 2000 gestartet hatte, haben sich von den 669 Abgeordneten nicht einmal ein Drittel beteiligt. Bislang sei die Erd-Anlieferung von 190 Parlamentariern registriert worden, sagt der Kurator der Bundestags-Kunstsammlungen, Andreas Kernbach, unserer Zeitung. Da möglicherweise einige unbemerkt ihr Säckchen Erde ausgeschüttet hätten, rundet er die Zahl auf "etwa 200" auf.

Kritiker der 374000 Mark teuren Installation sehen sich bestätigt. "Die befürchtete Blamage ist eingetreten, die Konzeption ist nicht aufgegangen", meint der CDU-Abgeordnete und Haacke-Gegner Volker Kauder. Das Kunstwerk werde von den Abgeordneten offensichtlich nicht angenommen. "Es haben sich ja nicht einmal alle beteiligt, die für diesen Trog gestimmt haben", wundert sich Dirk Niebel (FDP), der aus Protest einen Kanister Wasser aus dem Neckar über dem Trog ausgegossen hatte. Sein CSU-Kollege Peter Ramsauer spricht von einem "teuren Flop". Der Trog sei ein "jämmerliches Beispiel, was passiert, wenn Kunst zu politischer Agitation degradiert wird".

Ganz knapp hatte das Parlament im Frühjahr 2000 die Installation beschlossen - 260 Abgeordnete waren dafür, 258 dagegen. Kritiker vor allem von CDU und CSU störte die politische Absicht, die Inschrift am Reichstagsgebäude "Dem Deutschen Volke" durch die Holztrog-Widmung "Der Bevölkerung" zu kontrastieren. Aber auch in der Koalition taten viele das Werk als "Biokitsch" ab. Da ist die Beteiligung aus Südwestniedersachsen recht gut: Fünf der zehn regionalen Bundestagsabgeordneten, alle von der SPD, liefern in Berlin Heimaterde an, unter anderem von Äckern im Vorharz, Kleingartenanlagen in Peine oder einer ehemaligen KZ-Außenstelle in Braunschweig. Die Säckchen stammen aus den Wahlkreisen Goslar (Peter Eckardt), Braunschweig (Leyla Onur, Carola Reimann), Gifhorn-Peine (Hubertus Heil); aus Helmstedt und Wolfsburg will Bodo Seidenthal demnächst Erde bringen. Schon frühzeitig abgewunken hatten Wilhelm Schmidt (SPD) und Jochen-Konrad Fromme (CDU) aus dem Wahlkreis Wolfenbüttel-Salzgitter. Fromme: "Das knüpft an eine völlig falsche Ideologie an." Auch Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Schuchardt und Hans-Georg Faust (alle CDU) gaben dem Künstler einen Korb. Während Haacke selbst sich nicht äußern mag, nennt Kurator Kernbach die Resonanz trotz allem "ziemlich gut". Schließlich sei das Projekt auf Dauer angelegt. Neue Abgeordnete können neue Erde bringen, ausscheidende Parlamentarier müssen indes 50 Kilo Erde wieder mitnehmen. Zugelassen ist fast alles; Häufchen mit Kohle, Schutt und Sand liegen in dem Trog. Nur die Idee von zwei Grünen, vergiftete Erde aus einer alten Rüstungsfabrik abzuladen, stoppte Thierse. Die Kritiker hätte selbst das kaum gestört: "Wir sollten das bis auf weiteres als Mahnmal gegen die Instrumentalisierung von Kunst stehen lassen", rät CSU-Mann Ramsauer, später könne man es vielleicht auch "herausreißen". Dem Liberalen Niebel reicht eine "Umwidmung": "Man könnte ein paar Bäume in den Trog pflanzen und drum herum einen Biergarten einrichten."

Braunschweiger Zeitung, 08.09.2001
ANREGUNGEN zur Bearbeitung:
Weil zwei Drittel der Abgeordneten (unsere politische Elite) nicht "mitgespielt" haben, (weil sie nicht verstehen wollten oder konnten?) sagt der Artikelautor "Das Objekt ist ein Flop", er sagt nicht "die Abgeordneten, die sich nicht beteiligt haben, haben gefloppt"! Oder gehört die Verweigerung auch zum Gesamtwerk DER BEVÖLKERUNG? - Aus welchen Elementen besteht das Werk Haackes überhaupt? - Warum endet der Artikel mit dem Biergarten-Zitat? - Darf jemand in Anspruch nehmen, mit seiner Meinung in dieser Sache Recht zu haben? - Welche Rolle spielen dabei WIR, die Bevölkerung? - Was bedeutet uns das Verhalten der Politiker? - Oder spiegelt sich unsere Meinung in der Meinung der Abgeordneten? - Braucht es keine oder muss es Unterschiede zwischen uns und unseren Abgeordneten geben? - Hat Dürers "Rasenstück" eine politische Dimension oder ist es ausschließlich "schöner Schein" der Heimatwiese? - Wie begründet sich die kulturelle Kompetenz jedes einzelnen Abgeordneten? Ist sie
notwendig oder nicht ? ... Welche eigenen praktischen Arbeiten bieten sich zur forschenden Klärung und als künstlerische Gestaltungsexperimente an? Vielleicht 25 Blumentöpfe mit Erden füllen und dann wie mit ihnen umgehen? ... Wann ist Kunst demokratisch, sozial, plastisch ....?