WITOLD
WIRPSZA
Bedeutungsspiele
Auster
des Optimismus
Dieses Dauern der Gattungen ist unerträglich.
Affen, die seit Millionen von Jahren
Müde Mäuler und verlängerte Hände zeigen
Und sich bewegen, hüpfen, sich schaukeln, -wiegen,
Unerfahren gebliebene Denkmäler für Flöhe.
Ameisen, welche die Art bewahren, sonst nichts,
Sich nähren, Vorräte sammeln, kämpfen, sonst nichts,
Einzig deshalb, um in den Kinnladen
Weiße, ovale Larven zu tragen und sie ins Endlose zu vermehren.
Unerträglich.
Blumen, prachtvolle, sagt man, stolze,
Bescheidene, unscheinbare, sagt man, zarte,
Dieser ganze zum Saugen dienende Galimathias von Wurzeln,
Vegetatives System, das schmarotzt an Mineralien,
Schmetterlingen, Bienen, Kolibris, am Wasser,
Das Ornamente ausscheidet wie Speichel und Galle,
Das menschliche Auge zur Hübschheit erzieht,
Also zum Gleichmut und zur Verachtung.
Unerträglich.
Gedankenlose Flüsse und Seen,
Bewegte und bewegungslose Sammelbecken von Flüssigkeiten,
Wohllaut sanfter Kurven und gezähmter Ufer
Am Sande, im Wiesengrün, in der Verzauberung der Wälder,
Belästigt
Erdrückt mit Behagen oder Verirrung
Oder brüllt / sie horchen auf /, donnert / sie horchen auf /,
Treibt Steine, Sand, Wälle von Eisschollen,
Versetzt in Staunen, Erstarren, ruft
Stumpfes Lächeln hervor auf den entzückten Gesichtern.
Unerträglich.
Wuchernde
senkrechte Formung,
Das heißt Felsen, Engpässe, Klüfte, Gipfel,
In schrecklicher Unordnung, die Angst auslöst
Unter Sternen und mit dem endlosen Raum
Mit der erhabenen Drüse der Ohnmacht
Und der sekretorischen Metaphysik.
Unerträglich.
Und
danach kommen die mit sich selbst maßlos zufriedenen Gestalten
Und sagen: - Wir wissen, wir wissen es,
Wir haben die Gesetzmäßigkeiten erkannt, den philosophischen
Stein
Wie eine Auster zu uns genommen, verschlungen.
Es piepste zwar los im Hals,
Doch wir spülten mit kühlem Wein des Rationalismus nach
und jetzt wissen wir. Wir wissen
Wie sich die Natur entfalten muss, damit sie edel sei,
Und wie die Menschheit sich entfalten muss, damit sie glücklich
sei. -
Sie taumeln trunken vom üblen Likör der Einbildung,
Mit aufgeblähtem Bauch / von der optimistischen Auster/.
Mit der Klarheit des Denkens, die die Augen ausbrennt
Und die Phantasie gefrieren macht.
Optimismus, Glück, Engeltum, wiedergewonnenes Paradies.
Unerträglich.
Und hier sind die Sanften und die Traurigen.
Sie löschen die Flamme der Begeisterung,
Plagen niemanden,
Suchen nach Verstehen und Verständnis,
Lächerlich und lächerlich gemacht,
Befürchten weder das noch jenes.
Mutig.
Aber
wie lange wird man ihre Gegenwart
Ertragen können?
Und was, wenn sie sich vermehren?
Zu Dutzenden von Millionen
Wären sie ebenso
Unerträglich.
1957.
Übertragen von Karl Dedecius (dtv 196? Polnische Lyrik)
Friedemann von Stockhausen las dieses Gedicht zur Eröffnung seiner
Ausstellung
im Kunstverein Wolfenbüttel 23. 11. 2003.