
62. Dali
Auch für die Surrealisten ist der
Künstler ein Medium,
durch das sich die Weltkräfte ausdrücken können.
Salvador Dali beispielsweise stellt der Tagwelt die Traumwelt als tiefere
Realität gegenüber.

63. Pollock
Die automatistischen, das heisst nicht
vom Verstand, sondern nur vom Gefühl gelenkten Aufzeichnungen,
Seismographien der aus Amerika stammenden Aktionsmalerei (action painting)
entwickeln nach dem
Zweiten Weltkrieg diese Tendenz weiter, die auf der Einsicht in die
Ohnmacht des menschlichen Verstehens und Wollens beruht.

64.
Rothko
Künstler wie Marc Rothko stellen dem Betrachter
eine ruhig, grosszügig zusammenfassende, räumlich wirkende
Farbzone gebenüber,
die sich ihm als geistiger Meditationsraum anbietet, in den er empfindungsmässig
eintritt, in dem er in eine befreite, gelöste Stimmung versetzt
wird und sich auf sich selber aufs Selbsterleben, konzentrie-
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ren soll.

65. Schwitters
Eine vierte Entwicklungslinie geht vom
Dadaismus aus, einer Tendenz im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts,
die sich zuerst gegen alle Überlieferung
wendete, die sie als Belastung, als Hindernis auf dem Weg zu einem
befreiten Leben empfand. Kurt Schwitters beispielsweise verzichtete
auf die traditionellen Mittel der Malerei wie Stift und Farbe und komponierte
aus den verschiedensten Abfällen, die er auf eine Holzplatte klebte,
zauberhafte Werke voller Assoziationen, also voller Erinnerungsanstösse
an Bekanntes. Darin spiegelt sich die Komplexheit unseres Erlebens,
das sich ja hier nicht nur auf das Gesehene beruht, sondern ein Gemisch
von Augen-Ohren-Nasen-Tast-Eindrücken mit Erinnerungen, Wissensfragmenten
und Wünschen darstellt.

66. Duchamp
Der Künstler, der schon im zweiten
Jahrzehnt am Werk war, trotzdem auf die heutige Kunst den grössten
Einfluss ausübte, war
der Franzose Marcel Duchamp. Historisch ist seine Kunstgeste: er nahm
beispielsweise
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einen Flaschentrockner, entfernte ihn aus seinem «nützlichen» Platz
in einem Gasthof und stellte ihn in einer Ausstellung als Kunstwerk
auf. Der künstlerische Vorgang, den der Betrachter nachvollziehen
muss, betrifft nicht das Kunstprodukt, wesentlich ist die gedankliche
Verarbeitung: das alltägliche Objekt, der Flaschentrockner, erhält
in der neuen Umgebung ganz andere Bedeutungen.
67. Realität?
Was ist die Wirklichkeit, was
ist die Wahrheit, die unser Leben bestimmt? Im Grunde kreisen alle
die von uns bis jetzt nur ganz kurz, unter einseitigen Aspekten betrachteten
modernen Arbeiten um diese eine Frage. Das blosse Sehen genügt
nicht, um die Wahrheit zu erfassen - Wissen, Berechnen, Erfühlen,
Erahnen, Träumen, Meditieren werden als Erkenntnishilfen
beigezogen. Die Frage ist noch nicht gelöst, sie ist vielmehr
- vielleicht als Begleiterscheinung zu dem durch die Massenmedien ungeheuer
erweiterten Wissen um Probleme in aller Welt - immer mehr ins Zentrum
gerückt, bei den Künstlern wie bei uns selber.

68. Albers
Gedanken über die Abhängigkeit
des Sehens vom Wollen des Schauenden machte sich unter ändern
Josef Albers: der Betrachter stellt seine Augen nach eigener Wahl auf
das Objekt ein. Die Wahrnehmung ist Voraussetzung für die Formulierung
jeder neuen künstlerischen
Ausdrucksform (Sprache), der Künstler muss Sichtbares verwenden
und ist deshalb bei jeder Formulierung auf irgend etwas, was er einmal
gesehen hat, also auf Seherfahrungen, angewiesen.
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