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Auszüge aus Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach : ein endlos geflochtenes Band, 11. Aufl. Stuttgart : Klett Cotta, 1988. Seiten 50-52, 57 und 58 |
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Bedeutung und Form der Mathematik
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Das pg-System Das in diesem Kapitel behandelte System heißt pg-System. Es ist für Mathematiker und Logiker nicht wichtig - es handelt sich bloß um eine einfache, von mir selbst erfundene Sache. Wichtig ist es, weil es ein vortreffliches Beispiel für viele Gedanken bietet, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. Im pg-System gibt es drei verschiedene Symbole: P g -
DEFINITION: xp-gx- ist ein Axiom, wenn
x nur aus Bindestrichen besteht. REGEL: Angenommen x, y und z stehen alle für einzelne
Ketten, die nur Bindestriche enthalten, und angenommen, daß man
weiß, daß xpygz ein SATZ ist. Dann ist xpy-gz-
ein Satz. Eine äußerst nützliche Übung ist die, ein Entscheidungsverfahren für die SÄTZE des pg-Systems zu finden. Schwierig ist das nicht, wenn Sie eine Zeitlang damit gespielt haben, kommen sie wahrscheinlich darauf. Versuchen Sie es. Das Entscheidungsverfahren Ich nehme an, Sie haben's versucht. Zunächst möchte
ich, auch wenn es zu offensichtlich scheint, als daß man es erwähnen
müßte, darauf hinweisen, daß jeder SATZ des pg-Systems
drei verschiedene Gruppen von Bindestrichen enthält und daß
die trennenden Elemente ein p und ein g - in dieser Reihenfolge
- sind. (Man kann das mit einem auf "Vererblichkeit" beruhenden
Beweisgang zeigen, genauso wie wir zeigen konnten, daß alle SÄTZE
des MIU-Systems mit M beginnen müssen.)
Das bedeutet, daß wir rein aus formalen Gründen eine Kette
wie --p--p--p--g-------- ausschalten können. Zurück zum Entscheidungsverfahren ... Das Kriterium
dafür, daß ein SATZ vorliegt, ist, daß sich die Bindestrichlängen
der ersten beiden Gruppen zu der der dritten addieren. Z. B. ist --p--g----
ein SATZ, da 2 plus 2 4 gibt, während --p--g- keiner ist,
da 2 plus 2 ungleich 1 ist. Um zu erkennen, daß das wirklich ein
Kriterium ist, betrachten wir zuerst das Axiomen-Schema. Offensichtlich
erzeugt es nur Axiome, die diesem Kriterium der Addition genügen.
Man betrachte sodann die Erzeugungsregel: Wenn die erste Kette dem Additionskriterium
genügt, dann muß es auch die zweite tun - und umgekehrt,
wenn die erste Kette ihm nicht genügt, tut es auch die zweite nicht.
Die Regel macht das Additionskriterium zu einer vererbbaren Eigenschaft
der SÄTZE: Jeder SATZ gibt die Eigenschaft an seinen Nachfolger
weiter. Das zeigt, warum das Additionskriterium korrekt ist. ... Doppelbedeutung!
Hier eine Zusammenfassung unserer Beobachtungen am pg-System. Bei jeder der beiden bedeutungstragenden Interpretationen, die wir gegeben haben, hat jede wohlgeformte Kette als Entsprechung eine grammatikalische Behauptung - einige dieser Behauptungen sind wahr, andere falsch. Der Begriff der wohlgeformten Kette in einem formalen System besagt, daß es sich um diejenigen Ketten handelt, die, wenn wir ein Symbol nach dem ändern interpretieren, grammatikalisch richtige Ausdrücke ergeben. (Das hängt natürlich von der Interpretation ab, aber im allgemeinen schwebt einem eine gewisse Interpretation vor.) Unter den wohlgeformten Ketten gibt es solche, die SÄTZE sind. Diese sind durch ein Axiomenschema und eine Erzeugungsregel definiert. Mit der Erfindung des pg-Systems bezweckte ich, die Addition zu imitieren: Ich wollte, daß jeder SATZ, wenn interpretiert, eine richtige Addition ausdrücken würde; umgekehrt wollte ich, daß jede richtige Addition von genau zwei positiven ganzen Zahlen sich in eine Kette übersetzen lasse, die dann ein SATZ wäre. Dieses Ziel wurde erreicht. Man beachte also, daß alle unrichtigen Additionen, z. B. "2 plus 3 gleich 6" auf Ketten abgebildet werden, die wohlgeformt, aber keine SÄTZE sind. Formale Systeme und Wirklichkeit Dies ist unser erstes Beispiel des Falles, daß ein formales System auf einem Teil der Wirklichkeit beruht und sie perfekt nachzuahmen scheint, da die SÄTZE den Wahrheiten über diesen Ausschnitt aus der Wirklichkeit isomorph sind. Doch sind Wirklichkeit und formales System voneinander unabhängig. Niemand braucht sich bewußt zu sein, daß zwischen beiden eine Isomorphie besteht. Beide stehen für sich - eins plus eins gleich zwei, gleichgültig ob wir wissen, daß -p-g-- ein SATZ ist; und -p-g-- ist immer noch ein SATZ, ob wir es mit Addition in Zusammenhang bringen oder nicht. Man fragt sich vielleicht, ob die Erzeugung dieses oder eines anderen formalen Systems neues Licht auf die Wahrheiten in ihrem Interpretationsbereich wirft. Hat die Erzeugung von pg-SÄTZEN uns irgendwelche neuen Additionen gelehrt? Sicher nicht. Aber wir haben etwas über das Wesen der Addition als eines Prozesses gelernt, nämlich daß sie ohne Schwierigkeit durch eine typographische Regel über bedeutungsleere Symbole nachgeäfft werden kann. Das sollte keine besondere Überraschung sein, da "Addition" ja ein so einfacher Begriff ist. Jedermann weiß, daß man die Addition mit den sich drehenden Rädern einer Vorrichtung wie etwa einer Ladenkasse einfangen kann. Es ist jedoch klar, daß wir, was formale Systeme
anbelangt, noch kaum die Oberfläche geritzt haben. Es ist natürlich,
sich zu fragen, welcher Teil der Wirklichkeit sich durch eine Anzahl
bedeutungsleerer Symbole, die formalen Regeln gehorchen, nachahmen läßt.
Läßt sich die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit in ein formales
System verwandeln? In einem sehr allgemeinen Sinn könnte die Antwort
anscheinend "ja" lauten. Man könnte z. B. annehmen, daß
die Wirklichkeit selber nichts anderes sei, als ein einziges sehr kompliziertes
formales System. Seine Symbole bewegen sich nicht auf dem Papier, sondern
vielmehr in einem dreidimensionalen Vakuum (Raum); sie sind die Elementarteilchen,
aus denen sich alles zusammensetzt. (Stillschweigende Annahme: daß
die absteigende Kette von der Materie einmal ein Ende nimmt, so daß
der Ausdruck "Elementarteilchen" einen Sinn hat.) Die "typographischen
Regeln" sind die physikalischen Gesetze, die angeben, wie, wenn
Position und Geschwindigkeit aller Teilchen in einem bestimmten Augenblick
gegeben sind, diese modifiziert werden können, so daß sich
neue Positionen und Geschwindigkeiten ergeben, die zum "nächsten"
Augenblick gehören. So sind also die SÄTZE dieses großen
formalen Systems die möglichen Konfigurationen von Teilchen zu
verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte des Universums. Das einzige
Axiom ist (oder vielleicht war) die ursprüngliche Konfiguration
aller Teilchen "zu Beginn der Zeit". Das ist indessen eine
so überwältigende Vorstellung, daß sie nur von ganz
theoretischem Interesse ist; überdies |
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PROTOKOLL
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MIU-System
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