rahmengruen
 MAXENCE FERMINE  

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haiku

Der Klang des berstenden Wasserkrugs
(Im Nachtfrost)
Reißt mich aus dem Schlaf.
                                                                        BASHÔ 

»Was ist Poesie?«, fragte der Shinto-Priester.
»Ein unergründliches Geheimnis«, antwortete Yuko.

Eines Morgens zerbirst ein Wasserkrug im Kopf und benetzt die Seele mit einem Tropfen Poesie. Die Seele erwacht und erkennt seine ganze Schönheit. In einem solchen Augenblick wird das Unsagbare sagbar. In einem solchen Augenblick geht man auf eine Reise, ohne sich von der Stelle zu bewegen. In einem solchen Augenblick wird man zum Dichter.

Nichts verfälschen. Nichts aussprechen. Nur betrachten und schreiben. Mit wenigen Worten ausdrücken, was man sieht. In den siebzehn Silben eines Haiku.

Eines Morgens erwacht man und begreift, dass es an der Zeit ist, sich aus der Welt zurückzuziehen. Denn dies ist der einzige Weg, das Staunen zu erlernen und die Welt neu zu entdecken.

Eines Morgens beginnt man, sich Zeit zu nehmen, sich selbst leben zu sehen.


Aus dem Roman SCHNEE von Maxence Fermine, 2001 Goldmann München, Seite 16