ZUR ARBEIT IN DER AUSSTELLUNG BLAST TO FREEZE KUNSTMUSEUM WOLFSBURG
 
Ein anderer Künstler in der Zeit des Zweiten Weltkriegs: Henry Moore



Doppelseite aus dem Katalog BLAST TO FREEZE
Links: Tafel 73: Henry Moore EIGHTEEN IDEAS FOR WAR DRAWINGS 1940 (Roll over!)
Rechts: Tafel 74-77 4 Blätter aus SECOND SHELTER SKETCHBOOKS 1940-41

Meine Aufmerksamkeit gilt besonders dem Blatt auf der linken Seite (27,4 x 37,6 cm), das in einer vorher bestimmten Ordnung kleine aquarellierte Zeichnungen versammelt.
Die Bilderfindungen scheinen aus einer großen Aufmerksamkeit und Anteilnahme Moores heraus entstanden zu sein und können
wohl mehr mit dem Betrachter machen, als die zuvor angesprochenen Arbeiten von Nash.
Hier Erklärungsansätze zu finden, dürfte die Wahrnehmung künstlerischer Bildwerke schärfen.
Mir geht es dabei nicht um die umfassende Verbalisierung eines Bildausdrucks, sondern eher um eine verfeinerte "Resonanzfähigkeit". Also mehr um die aufmerksame (Selbst-)Beobachtung eigener Empfindungen und Reaktionen, die ja nicht bloß dem vorhandenen Wissen in unseren Köpfen entspringen. Gerade Moores notierte Kleinstwerke beanspruchen Intuition, Erinnerungsvermögen, Körpergedächtnis, um ein paar Begriffe zu nennen, die auf Bereiche unserer unbewußten Reizverarbeitung verweisen. Denn bereits die Unklarheiten und Abweichungen der einzelnen Bildentwürfe verlangen von mir, sie in meiner geistigen Welt unterzubringen, mein Gehirn, denke ich, sucht Ähnlichkeiten und Verwandtes, sucht in seinen Kammern bereits Abgelagertes, das im Zusammenhang mit dem Neufund stehen könnte. Welche Rolle die Dauer der Suche spielt und schließlich die Entscheidung, das neu Gesehene mit bestimmten Bereichen im Gehirn zu verknüpfen, es vielleicht schwebend zwischenzulagern oder es wieder zu vergessen, diese Frage muss ich an die Hirnforschung weiterreichen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass diese virtuose Tätigkeit der Nerven im Körper zunehmend mit Lust ("Kunstgenuss"?) und Einsichten (in Zusammenhänge) belohnt wird.
Moores "IDEAS" stehen untereinander über das gemeinsame Thema WAR in Verbindung. Sie illustrieren keine realen Ereignisse, spiegeln aber die "Unwirklichkeit" und das "Unfassliche" der zerstörerischen realen Kräfte wieder. Die Bilder bearbeiten bohrend Erlebtes, ohne es abzutöten: Die vor dunkler Feuersbrunst sitzende Figur lebt, die aufgesprengten Erdföntänen leben und die brennenden Schafe leben (in mich transzendiert). - Diese Bedeutung der Bilder für mich kann ich um so leichter erkennen, da ich mich als Betrachter einerseits auf die isoliert zitierten Motive konzentrieren muss, andererseits muss ich mich durch die 18 Angebote bewegen: vergleichen, verbinden, trennen, verweilen.
Ähnlich auch die Bilder des SHELTER SKETCHBOOKs: Neben der intimen individuellen Nähe, die aus den Zeichnungen spricht, werden in der Regel mehrere Ansichten nebeneinander gestellt. Einfühlsame Versuche, die sich der Situation der Schutzsuchenden, dem Wesen des Leidens widmen, ohne dabei einen Menschen als "individuelles Exemplar" zu benutzen und vorzuführen.

Vielleicht reichen meine Ansätze, um das Zusammenwirken gestalterischer Aspekte vor Ort wirken zu lassen und weiter zu ergründen. Im Gesamtzusammenhang der Ausstellung, denke ich, lässt sich die hervorragende Qualität der äußerlich bescheidenen Bilder von Henry Moore nachhaltig erfahren. Die spielerische Formsuche gepaart mit der Reduktion auf den Kern einer Erscheinung zeigt sich in den Bildern in gleicher Weise wie in den Plastiken.

Im Katalog ist vermerkt:
die "18 Ideen für Kriegszeichnungen" hat Moore 1977 der Henry Moore Foundation geschenkt. Über die Linkleiste links > Henry Moore > Works Chronology werden umfangreiche Informationen aufgerufen, von dort stammt die folgende Zeichnung:

Pink and Green Sleepers, 1941. Drawing, 204x165mm pen and ink, chalk, wax crayon, wash and gouache. Tate Gallery, London

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