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4. Treffen 11.09.2001
Jetzt zu versuchen, ein Gedächtnisprotokoll von diesem Dienstag-Treffen aufzuzeichnen, fällt mir etwas schwer, denn als wir den Kieferraum verließen (nach 18:30 Uhr?), musste sich uns der Mann von der Museumsaufsicht mitteilen: "Haben sie schon gehört? Auf das World Trade Center sind zwei Passagierflugzeuge gestürzt!" - was mir da ins Hirn eindrang, konnte ich nicht realisieren, es nahm noch keine Gestalt an. Erst auf der Heimfahrt musste ich über das Nachrichtenradio zur Kenntnis nehmen, dass auf fürchterliche und bösartige Weise eine Welt zum Einsturz gebracht worden ist, deren Dimension, als sie noch aufgerichtet stand, ich hingenommen hatte, ohne sie begreifen zu können - und jetzt nach dieser gewollten, wütenden Zerstörung von tausenden Menschenleben kann ich noch weniger verstehen, ich erlebe vorerst nur überdeutlich die Grenzen meines bewußten Vermögens, etwas wahrnehmen zu können.
Ich weiß dass es unangemessen ist, hier Bezüge zu Kiefers Scheiter-Werk aufzuzeigen. Das ist, denke ich, auch nicht meine Absicht. Ich versuche einen Äußerungsweg zu finden, der meine Regungen signalisiert. Denn die aktuellen Ereignisse, denen wir jetzt ausgesetzt sind, nicht zu erwähnen, will mir auch nicht behagen. Man verzeihe mir meine Unbeholfenheit. An dieser Stelle überschnitten sich die Ereignisse, das bleibt so in meiner Erinnerung. |
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Kiefer 1974:
Malen Verbrennen
„Kunst ist ja immer ein Herumgehen um etwas Unsagbares, um ein Schwarzes Loch oder um einen Krater, dessen Zentrum man nicht betreten kann. Und was man an Themen aufgreift, das hat immer nur den Charakter von Steinchen am Fuß des Kraters - das sind Wegmarken in einem Kreis, der sich hoffentlich immer enger um das Zentrum legt.“ (Anselm Kiefer)
Q: http://www.columbia.edu/itc/german/gehlker/projects/ wien/
literatur/kiefer.html (2001) |
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Vorm Kiefer-Werk trafen sich diesmal Birgit, ???, Christian und Reimar. Ich kam etwas später vom Unterricht in der Installation "24 HOUR PSYCHO" im selben Museum.
Wiederholend wurde der Wert "Einsamkeit" in seiner Bedeutung für Schüler problematisiert.
Der Arbeitsprozess in seinen unterschiedlichen Phasen über die Jahre: beispielsweise die Bildarbeiten, deren Ergebnisse nicht wie üblich als Bildtafeln zu betrachten sind, dann das Stapeln und Schichten, die ergänzenden realen Dinge, die sowohl bedeutungsvolle Symbole als auch konkrete Realitätssplitter bleiben (tote Hausmaus, Phyton-haut, Sonnenblumen, die aussamend ihr Leben erfüllen, Bleistreifen, Erde, Staub, Asche, Gestaltungs- und Äußerungsspuren auf überstehenden Leinwänden und anderes mehr - mir scheint, eine penible Auflistung könnte leicht in eine literarische Arbeit übergehen.). Kiefers durch die Zeit fortschreitende Arbeit bildet sich schließlich auch in dem Buch mit selbem Titel noch einmal ab.
Zum Nachdenken über das Prozesshafte gehört sicher auch die Frage "Wann ist ein Bild fertig?" und "Wann bin ich mit dem Zustand des Bildwerkes zufrieden?" "Wie nähere ich mich diesem Zustand an?" und "Wie helfe ich Lernenden diese Annäherung an Bereiche, wo ich noch nicht war, zu versuchen?" Denn dabei muss wohl nicht nur über den bisherigen Tellerrand geschaut werden, sondern darüber hinaus wieder über andere Ränder in andere Teller hinein! Dieser Gedanke lässt sich mit em Kiefer-Zitat • oben rechts verbinden.
Bildarbeit, Bildsuche, neue Vorstellungen stehen im Zusammenhang mit Grenzüberschreitung und Bewegung. So können Arbeiten aus anderen erwachsen.
Birgit lieferte uns zwei Beispiele aus ihrem Unterricht: Einen Film zu bzw. mit einer Papierschwalbe zu machen. Fortschreitende Bilder und Erfindungen werden z.B. über Experimentelles, über Schwierigkeiten, über Zerstörung, über Kombinationen erleichtert.
Oder der Auftrag, Aus den drei "T" ein Objekt zu erstellen, das "Teelicht", "Toastbrot" und "Taschentuch" als begriffene Dinge überwindet.
Weitere Ansätze:
Eine Kartoffel riesig groß zu malen (1-2m Durchmesser); Zusammengehöriges zerteilt und einzeln gestalten: jeder Schüler bildet ebenfalls
groß, eventuell plastisch eins der Elemente heraus: 1 Tisch, 1 Schüssel, 1 Tischdecke, 1 Kartoffel, 1 Messer, 1 Gabel, 1 Schere, 1 Licht usw.. - Hier zeichnet sich eine Art von Aufgaben ab, die Schwierigkeiten provozieren oder mit Verrückungen arbeiten.
Wäre dies von den Schülern erst einmal reflektiert und auch bewußt aufgenommen, sie könnten sich bestenfalls selbst Aufgaben stellen: eine kleine Bildarbeit für eine Klausur zum Thema "Alleinsein"!?
Vielleicht ist ein Notfall-Briefumschlag mit Assoziationsauftrag oder Umleitungstipps für Blockaden hilfreich, denn das ist ein hoher Anspruch, herauszubekommen, wie man seine bekannten Vorstellungsbahnen verlassen kann, um sich neue zu erobern!
Abenteuerliches ist dennoch geeigneter als tradiertes Kunstlehrergeschäft, um das "freundliches Desinteresse" vieler Schüler (wie das der Göttinger Schulleiter Karl Gebauer laut Reinhard Kahl im Artikel "Schule macht dumm" benennt, in DIE WOCHE 36/01, 31. August 2001) aufzulösen. - Hier ist praktische Kreativität für das kreative Schlüsselfach in der Schule gefragt. Gegen die bekannten Verkrustungen.
"Zeichnen und Kiefers Einsamkeit" war das letzte Feld des heutigen Gesprächs. Mein erinnerbares Resümee sagt, Zeichnen kann hier an diesem Objekt forschend wahrnehmen, kann die Symbolik der Details und Zugaben hervorholen, drängt sicher über die Transformation die Direktheit der Realität zurück, schafft über die Zeit-Dauer allerdings andere, nichtrationale Aufladungen oder Empfindungen des zeichnerisch arbeitenden Individuums. Diese Vertiefung möchte noch verstärkt werden, wenn mit den Entstandenen Zeichnungen auf einer neuen Ebene umgegangen wird, gestalterisch, bildnerisch, konzeptionell. Was geschieht, wenn die gezeichneten Bilder eine Weile vergraben werden, was, wenn sie weitergesponnen und weitergerwebt werden? Was geschieht, wenn daraufhin eigene Abläufe des Zeichners bildlich erarbeitet und geschichtet werden, wie kann man das fassen? Als Buch mit Einlagen? Welches Buch zeigt das Prozesshafte als ein Geheimnis ohne an illustrativer Oberfläche hängen zu bleiben? Werden, Gestalt bekommen als Herzstück des Werks, eigene Spuren von A nach B machen, abnehmen und akkumulieren = ein kleines Stück eigene Geschichte gestalten ... ist doch viele Versuche wert. |
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Aufzeichnungen von Reimar Stielow 11.09.2001
Das Werk fordert auf, eine Grenze zu überschreiten, aus dem Negativen ins Positive, aus dem Misslingen ins Kreative.
Wie wenn Schüler das Lernen des Lernens lernen sollten, also über ihre eigenen Lernprozess reflektieren sollten, wie denn in ihnen Reflexion über Kreativität ermöglichen?
Das Problem der rechten Aufgabenstellung: Einen Rahmen bieten, der den Schülern eigenständige Prozesse ermöglicht:
Der Ansatz: minimal Objekt/Phänomen. Rainer: Zeichne eine Kartoffel. Absehbar: die meisten werden eine naturalistische Kartoffel zeichnen. Nächster Impuls: überzeichne die naturalistische Kartoffel mit einer Riesenkartoffel. Aus dem naturalistischen Konzept wird eine Bilderfahrung. Kartoffel in der Kartoffel in der Kartoffel in der....
Birgit: Papierschwalben falten, fliegen lassen und auf die am Boden liegenden heftig drauftreten. Und dabei sprechen: "Arme Schwalbe". Das Blatt Papier "entschwalben" und die Spuren nachzeichnen. Auf das zerknitterte Blatt die Konstruktion einer Papierschwalbe zeichnen. Diese Konstruktion rot, blau, gelb anmalen. Das Blatt verbrennen, die Asche zum Fenster hinaus in den Wind pusten. Vom ganzen Prozess ein Video machen.
Birgit: 1 Teelicht, 1 Taschentuch, 1 Toast: macht daraus etwas. Ergebnis: ein Blumenstrauß, eine Landschaft, ein Kurzfilm von einem Penner, der ein Taschentuch ausbreitet, darauf ein Toastbrot legt und sich ein Teelicht anzündet.
Das Problem: Offene Lernprozesse initiieren, deren Ergebnisse nicht feststehen. Denn immer noch erfolgen selbst Oberstudienratsbeförderungen nach geplantem und realisiertem Unterricht-Ergebnis. Wie aber sollen Schüler denn kreativ werden, auf Lösungswegen, die sie immer schon kennen bzw. der Lehrer als Oberurteiler.
Christian wirft das Problem der Haltung auf, Kreativität benötigt eine Haltung einen Standpunkt, den ich zu etwas einnehme. Wie aber, wenn sich Schüler entwinden, ja mach ich gleich, und reden dann weiter über Computerprogramme oder sonst was.
Der Gegenpol zu einem Minimalobjekt/Thema in der Aufgabenstellung ist die Komplexität: Das Grundproblem der meisten schulischen Aufgaben sieht Reimar in der mittleren Komplexität: die Kartoffel (s.o.) liegt auf einem Teller, daneben Messer und Gabel, auf Tischtuch, auf Tisch im Raum. Auf Grund dieser Komplexität bleibt dem Schüler kein kreativer Spielraummehr. Er ist froh, wenn er all die Dinge in Relation zueinander auf seinem Blatt bewältigt.
Der Gegenpol zu minimal hieße: Überforderung durch nicht zu bewältigende Komplexität: Zum Beispiel: Zeichne "20 Jahre Einsamkeit", 10 Skizzen, denn das Ganze, doch ein dreidimensionales Werk, ist nicht aufs Blatt zu bringen, nicht zu bewältigen. Die 10 Skizzen übereinanderschichten.
Einerseits entstehen Einsichten im Detail, Probleme für Gespräche, andererseits wird deutlich, das Ganze bleibt unfasslich.
BilderGrab Kiefers
Christian: andere Bilder Kiefers: Pyramiden, Stufen, Treppen, Leitern. Wenn denn die Schüler geistige Prozesse als Gang auf einer Truppe verstehen würden!
(Kiefer ist als Kaiserringträger im Mönchehaus, Museum für moderne Kunst, in Goslar vertreten)
Symbolik: Normal Symbol-Verständnis bei Schülern: Herzchen - Pfeil, Totenkopf, Sonne...
Rainer habe das Thema: Herz-Schmerz gestellt. Wir sprechen darüber, dass die Symbole der Schüler den Schmerz, das Leiden ausblenden. Die Natursymbole, die Kiefer verwendet: vertrocknete Sonnenblume, Schlangenhaut, beinhalten den Schmerz.
Wie Natursymbolik den Schülern nahe bringen: Rainer: Den Schulweg mit Leimpapier "abbilden", es bleiben Steinchen, Dreck, ... und dies interpretieren
Die nächste Gesprächsrunde sollte sich eigentlich mit den Arbeiten von Mario Merz beschäftigen, aber leider konnte die Veranstaltungsreihe nicht mehr fortgesetzt werden.
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