KIEFER-INTERVIEW
Süddeutsche Zeitung, Samstag, 11. August 2001
Der Berg, der Boden und die Stadt
Anselm Kiefer über seine Pläne in Südfrankreich und über sein Skulpturenprojekt in Salzburg
Salzburg - Stadt der Künste. Das stimmt nur bedingt. Denn die zeitgenössische bildende Kunst wird hier seit Jahren vernachlässigt. Das Projekt eines modernen Museums, das Hans Hollein im Mönchsberg bauen sollte, ist schon vor Jahren gescheitert. Nun will man eine viel zu niedere Kiste - das "Museum der Moderne" - auf den Mönchsberg setzen. Eine private Initiative, die "Salzburg Foundation", hat es sich zur Aufgabe gemacht "das Weltkulturerbe zu fördern". Im Rahmen dieser Förderung sollen international renommierte Künstler damit beauftragt werden, Skulpturen für die Stadt zu schaffen. Ein Kuratorenteam wählte nun den in Frankreich lebenden deutschen Künstler Anselm Kiefer aus.
SZ: Was interessiert Sie an diesem Skulpturenprojekt?
Kiefer: Ich arbeite in Frankreich ja auch in der Landschaft. Ich bin es seit einiger Zeit leid, nur Tafelbilder zu malen. Ich ziehe es vor, Situationen zu kommentieren. Als ich gefragt wurde, einen Kommentar zu Salzburg zu geben, zu einer Stadt, die so integer, so heil ist, da habe ich zugesagt.
SZ: Haben Sie schon eine konkrete Vorstellung, wie die Arbeit aussehen wird?
Kiefer: Ich habe die Stadt zunächst ein wenig erkundet. Das Beeindruckendste ist hier ist natürlich der Berg. Ich könnte mir vorstellen, ich mache etwas im Berg, oder vielleicht unter der Stadt. Im Boden liegt ja auch ein Teil der Stadt, etwa die ganzen Versorgungsleitungen. Aber ich habe mich noch nicht entschlossen, ich lass erst einmal alles auf mich wirken.
SZ: Salzburg ist eine erzbischöfliche Residenz, die Jesuiten geben hier den Ton an. Sie selbst sind streng katholisch erzogen worden, später aber aus der Kirche ausgetreten. Wie fühlen Sie sich in dieser Stadt?
Kiefer: Natürlich ist das ein Widerspruch. Aber da liegt auch Sprengkraft drin. Salzburg ist eigentlich ein Museum, und in ein Museum hängt man gerne ein Kunstwerk, das die Institution sprengt. Ich weiß zwar noch nicht, was ich hier machen will, aber es interessiert mich, die Situation zu sprengen.
SZ: Sie sind der Sohn eines Lehrerehepaars. Wollen Sie mit Ihrer Kunst auch belehren?
Kiefer: Nein, das hat nie eine Rolle gespielt.
SZ: Sie haben derzeit eine große Ausstellung in Humlebaek bei Kopenhagen. Ihre letzte große Ausstellung in Deutschland war 1991 in der Nationalgalerie Berlin. Die Kritiken waren überwiegend negativ. Meiden Sie seitdem Deutschland?
Kiefer: Nein, ich muss hier nicht alle paar Jahre ausstellen. Zehn Jahre Pause sind in Ordnung.
SZ: 1991 scheiterte an ihrem damaligen Wohnort in Buchen im Odenwald Ihr geplanter Kunstpark "Zweistromland" - nicht zuletzt wegen ihrer Scheidung, bei der Ihre Frau die Hälfte der Bilder erhielt. Inzwischen leben Sie in Barjac, am Rand der Provence. Planen Sie nun dort einen Kunstpark?
Kiefer: In Barjac - das Gelände hat rund 35 Hektar - bin ich dabei, Gebäude zu errichten, Räume in die Erde zu graben, ganz bestimmte Situationen zu schaffen. Das wird dann später, in zehn, zwanzig Jahren zu einer Einheit zusammenwachsen und dann auch für das Publikum zugänglich sein.
SZ: Sind die Räume Gehäuse für bestimmte, schon vorhandene Objekte?
Kiefer: Das ist unterschiedlich. Manchmal baue ich nur einen Raum, der sich durch die Landschaft ergibt. Dann wieder schaffe ich einen Raum für eine ganz bestimmte Anordnung von Bildern, die ich dort versammeln will. Manchmal ist es auch umgekehrt, dass der Raum nach einer ganz bestimmten Kunst verlangt, die dann entstehen wird.
SZ: 1992 haben Sie Deutschland verlassen - und dann zwei Jahre nicht gemalt. Sie sind nur gereist. Was hat Sie bewogen, zur Malerei zurückzukehren, und wie hat sich diese danach verändert?
Kiefer: Ich habe nicht wirklich aufgehört zu arbeiten. Statt zu malen habe ich fotografiert, ich habe geschrieben. Äußerlich scheint das eine große Zäsur gewesen zu sein, aber das Reisen ist eigentlich nur die Fortsetzung der Arbeit mit anderen Mitteln. Ich glaube, es ist gut, die Routine zu verlassen. Es wurde für mich immer leichter, etwas zu produzieren. Doch je leichter es wird, desto kritischer ist es für den Künstler.
SZ: Als Sie noch in Deutschland lebten, hatten Ihre Bilder immer etwas mit der Bürde der Vergangenheit zu tun. Inzwischen sind die Gemälde lichter geworden, farbiger. Hat das etwas damit zu tun, dass Sie in Frankreich leben?
Kiefer: Das Verlassen eines Landes ist eine Art Hygiene. Früher habe ich mich mit der jüngsten deutschen Geschichte beschäftigt. Doch das kann man nicht ständig machen, insofern gibt es keinen Bruch, es handelt sich vielmehr um eine Weiterentwicklung.
SZ: Sie haben einmal gesagt: Meine Malerei gehört ins Museum; Peter Handke behauptet, sie gehöre ins Freie. Würden Sie Handke heute zustimmen?
Kiefer: Mich interessiert nicht das Salonbild. Es ist für einen Künstler ja auch höchst unangenehm, wenn seine Bilder als Wert - als Spekulationsobjekte gehandelt werden.
SZ: Sie waren doch lange Marktfavorit, besonders in den USA riss man sich um Ihre Bilder.
Kiefer: Das ist ja das Problem. Ein Künstler wird im Gegensatz zum Dichter oder Musiker zum Marktobjekt gemacht. Und es ist nicht sehr befriedigend zu wissen, dass ein Bild, das eigentlich ein geistiges Konzentrat ist, als Wertobjekt gehandelt wird.
SZ: Sie suchen Ihre Motive mit dem Fotoapparat. Ist die Fotografie für Sie ebenso wichtig wie die Malerei?
Kiefer: Für mich sind die Bücher, die ich mache, am wichtigsten, sie rangieren noch vor der Malerei. Fotos sind für mich optische Notizen. Bei ihnen ist man immer wieder über das Ergebnis überrascht.
SZ: Peter Handke hält Ihre Malerei für gefährlich; Sie als Maler seien gefährdet. Wie war ihre Reaktion, als Sie das gelesen haben?
Kiefer: Ich habe gedacht, hoffentlich hat er recht, ich will doch nichts schaffen, was nur beruhigend ist.
Interview: Dorothee Müller (Süddeutsche Zeitung) |