"... Wenn wir, ohne schon in die
Wissenschaft einzutreten, von der Zeit ausgehen, wie ist dann unser
Wissen, wie ist die Naturwissenschaft, wie ist die Evolution als in
diese Zeit ein-gebettet wiederzuerkennen?
Der vorliegende Text kann nur eine grobe Skizze eines solchen Versuchs
sein. Methodischer Ausgangspunkt ist die Zeitphilosophie von GEORG PICHT.
Die folgenden Erörterungen machen Gebrauch von drei zentralen Aspekten
dieser Philosophie:
- Die Zeit ist selbst das Sein.
- Alles, was ist, ist in der Zeit.
Alles, was gewesen ist, ist in der Zeit gewesen. Alles, was sein
wird, wird in der Zeit sein.
- Wir erfahren die Zeit in den Verschränkungen
ihrer Modi.
»Von der Zeit auszugehen« bedeutet dann, die Zeit selbst
zu erfahren. Das ist nach PICHT gerade nur wieder in der Zeit möglich,
jedenfalls solange wir das Sein der Zeit noch nicht vor dem Hintergrund
des Todes, sondern im Fluss des Lebens betrachten. Wir fragen also nach
den Horizonten der Dynamik der Zeit in der Zeit. Nach 2. erscheint alles,
was überhaupt ist, in den Zeitmodi Vergangenheit (V), Gegenwart
(G) oder Zukunft (Z). Auch die Zeit selbst erscheint in diesen Modi.
Wenn wir also fragen, wie ein solcher Modus in der Zeit ist, so lautet
die Antwort: er erscheint wiederum in den drei Modi V, G, Z. So ist
etwa die Vergangenheit in der Zeit einzig in den Modi der Vergangenheit
oder der Gegenwart oder der Zukunft erfahrbar, wofür wir symbolisch
VV, GV bzw. ZV schreiben werden: z. B. ist GV dasjenige an (am Modus)
der Vergangenheit, was im Modus der Gegenwart, d. h. gegen-wärtig
erscheint, oder kurz: die Gegenwart der Vergangenheit. Insgesamt lässt
sich somit zunächst formal eine Matrix von 3X3=9 solcher zweistelligen
Zeitmodiverschränkungen aufstellen:
VV
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VG
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VZ
|
GV
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GG
|
GZ
|
ZV
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ZG
|
ZZ
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Matrix der zweistelligen Zeitmodiverschränkungen
Die Forderung, dass die Zeit wieder nur in der Zeit erfahrbar sein soll,
führt also zusammen mit der Dreiheit der Modi zur Iteration dieser
Modi auf sich selbst. Es ist aber klar, dass es bei dieser Iteration
prinzipiell kein Halten gibt. Wie erfahren wir GV? Eben nur wieder in
der Zeit (Punkt 1.), also in der Dreiheit ihrer Modi. Dies führt
in einer nächsten Stufe zu dreistel-ligen Verschränkungen,
hier zu VGV, GGV, ZGV. Soweit das formale Spiel, in das die Zeiterfahrung
der Modi führt. Wir bezeichnen es als Zeitspiel. Es erscheint in
der Zahl der Stellen nach oben unbegrenzt und wurde von mir in einer
früheren Arbeit eingeführt. Wir folgen hier diesen früheren
Überlegungen und ergänzen sie zugleich.
Wir interpretieren nun diese Verschränkungen als eine Vielzahl
von Zeithorizonten und er-warten nach 1., dass jedes Phänomen,
das in der Zeit ist, also alles, was ist, sich in einem oder mehreren
dieser Zeithorizonte zeigt. Dabei ist die These, etwas sei in der Zeit,
in gewissem Sinne noch ein Pleonasmus. Denn wenn das Sein dieses »ist«
Zeit ist, dann ist et-was nicht in der Zeit, sondern es ist Zeit. Der
Zusatz »in« wird sich dann allenfalls auf die Art und Weise
beziehen, wie dieses Seiende in den Zeithorizonten lokalisiert ist,
vorausgesetzt, es lässt sich dort lokalisieren.
PICHTS Betonung von Punkt 3. erscheint in der formalen Iteration des
Zeitspiels zunächst als überflüssig, da die Verschränkungen
ohnehin als wesentliche Elemente des Spiels anzusehen sind. PICHT versteht
jedoch unter Zeitmodiverschränkungen wesentlich den hier auftretenden
speziellen Fall der zweistelligen Verschränkungen. Die Betonung
der zweistelligen Verschränkungen fordert aus unserer Sicht zu
zwei Fragen heraus: a) Welche Bedeutungen haben die einstelligen »Ver-schränkungen«
V, G, Z? b) Warum ist es offenbar (...) leichter, die zweistelligen
Verschränkungen ins Auge zu fassen und zu interpretieren? PICHTS
Antwort ist, dass in der Relationalität der Zwei-stelligkeit der
Bezug auf Wahrheit erscheint. Wahrheit ist aber bei PICHT nicht erst
eine Sphäre, von der menschliche Kommunikation geprägt ist;
er unterscheidet vielmehr zwischen »Kommuni-kation an« und
»Kommunikation für«, wobei die Relationalität,
die bereits im »an« erscheint, ebenfalls im Verhältnis
zum Wahren steht: Die Sonne kommuniziert am Stein (d. h. z. B.: erwärmt
ihn), der Baum kommuniziert für den Menschen. Entscheidend ist,
dass mit jeder zweistelligen Relation ein Ort der Wahrnehmung in der
Zeit mitkonstituiert ist und dass Wahrheit in der Zeit an diesem Ort
der Wahrnehmung »Hier und Jetzt« erscheint. Die Weite der
Möglichkeiten, die im »für« und »an«
anvisiert ist, verweist uns bereits auf das Ganze von Geschichte, bei
PICHT auf das Ganze von sich zeitigender Zeit, also auf das Ganze der
Natur (»Natur ist alles, was in der Zeit ist«). Die Frage
einer Verwandlung des Ortes der Wahrnehmung im Laufe der e-volutiven
Geschichte wird uns in IV beschäftigen. Dort werden wir eine eigene
Antwort auf die Frage a) und b) versuchen."
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