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PROTOKOLL 2. Hj. Schlussworte 
   
HEINRICH-NORDHOFF-GESAMTSCHULE WOLFSBURG 
KURSPROTOKOLL
MATHE+KUNST 13. Jahrgang GK 2001-02-2
Birger Sechtig & Rainer Randig 
08.01.2002 - 19.03.2002
jeweils 7. - 9. Stunde
WORTE ZUM SCHLUSS

Energiefeld der Kursarbeit - Eine Skizze von Rainer Randig

Das fachliche Spannungsfeld zwischen Kunst und Mathematik eröffnet für die Kursteilnehmer Möglichkeiten, sich in die Sachbezüge einzuklinken oder Positionen zu suchen. Die gleichzeitige Präsenz zweier Bezugsfelder provoziert einen ständigen Vergleich, zusätzlich sollte das Verhältnis der beiden Vermittler zueinander für die Schüler ein animierendes Magnetfeld sein, das Erkenntniswillen wie auch Vertrauen fördert.

Die Inhalte der Kurse haben meistens aufeinander aufgebaut und sich in der Regel differenzierend entwickelt. Dabei wurden Zusammenhänge herausgestellt, wie überhaupt die Vernetzung einzelner Themen bei einem projektartigen Vorhaben von vornherein angelegt ist. Deshalb sollte die entsprechende Methode zu einer verknüpfenden Reflexion zu kommen, nämlich mit Mindmaps zu arbeiten, ein Schwerpunkt theoretisch-praktischer Arbeit in einem nachfolgenden Projekt sein. - Vielleicht würde dann die Frische und Flexibilität des Lehrer-Lehrer-Schüler-Gefüges etwas leiden, doch ließe sich vermutlich sicherstellen, dass verwaltungsmäßiges Aufarbeiten nicht zur Belastung wird. Hier dürften Überraschung und Spannung nicht erstickt werden, die sich bei der polyvalenten Expedition leichter und öfter aufbauen als im Einpersonen-Unterricht.
Wenn da zwei Kollegen sind, die ihren Spaß daran haben zu sehen, was der jeweils andere wohl als inhaltliche Antwort aus seinem Hut ziehen wird, entsteht ein belebender Wettbewerb, der als Resonanz der Kursgruppe seine gültige Gestalt bekommen will.
Insgesamt konnten wir diese positive Stimmung öfter spüren, übrigens besonders bei inhaltlich diffizileren Inhalten, deren Vermittelbarkeit im Unterrichtsprozess vorher nur vage zu kalkulieren war. Letztes passt gut zur Kombination mit künstlerischen Ansätzen, in denen mathematische, philosophische und künstlerische Fragestellungen während der Werkgestaltung erforscht werden können oder wenn schwer begreifbare Zusammenhänge über gestalterische Konstruktion (beispielsweise als experimentelle Kombinatorik) neue Sinnbezüge erhalten.

 

Das letzte Wort bekommt Birger Sechtig: La Flèche de Zénon


Ist das nicht ein schönes Bild, excellent gemalt, gelungene Farbkomposition, sozusagen ein ,Hingucker'. Alles passt, ein ästhetischer Genuss, wenn auch ein bisschen unverständlich -
zunächst - doch jetzt, weitgehend erschlossen, eine Einheit aus Inhalt und Form, gerade wegen der Unmöglichkeit des Dargestellten.
Doch was soll dieser ästhetische Genuss, oder, um es noch schärfer zu formulieren:

Was soll uns das Schöne?
1. Das Schöne ist nicht nützlich.
2. Das Schöne ist nicht wahrhaft.
Zu 1.: Die Faulen genießen den Zauber des Schönen, die Fleißigen produzieren Güter zu eigenem
und fremdem Nutzen. Das Schöne besitzt keinen eigentlichen Wert, da dieser nur subjektiv ist und auf einem irrationalen Gefühl beruht.
Zu 2.: Das Schöne ist Schein. Es bringt uns nicht weiter auf der Suche nach Wahrheit. Der Betrachter (unter anderem von "La Flèche...") verliert sich aus der Haltung der Wahrheitssuche
in die des ästhetischen Genusses, genießt einen Realitätsverlust als Wohlgefühl (hat sozusagen
die Welt wie im Rausch am Schwanz gepackt), leider nur vorübergehend. Der Künstler (hier
Magritte) zeigt dem Menschen nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein Abbild eines Abbildes.
Außerdem sind Erzeugnisse wie "La Flèche..." nur Dokumente einer hohen handwerklichen Kultur.

Alle drei Kritiken des Schönen lassen sich auf eine zusammenziehen:
DAS SCHÖNE IST NICHT WAHR.

Man kann das jedoch auch anders sehen.
Mit jedem Sinneseindruck, Urteil bzw. Affekt nehmen wir das Allgemeingültige mit wahr, das diesen Eindruck, dieses Urteil und diesen Affekt erst möglich macht.
Wie allgemein gültig ist aber das Allgemeingültige, wie wahr das Wahre? Wie allgemein gültig sind denn z.B. meine visuellen Eindrücke, wie wahr die Urteile der Physik, die unserer moralischen Ordnung?
Und das 'Schöne' ist keine Form der Wahrheit?
"La Flèche..." erzählt von einer geheimnisvollen Welt und erzählt es auf geheimnisvolle Weise.
Doch wo sind die Inhalte und wie lauten sie? Man kann das analysieren, das Bild erklären, es in Portionen aufteilen und diese häppchenweise verabreichen, es seiner Geheimnisse berauben, es entzaubern und all das, um es bekömmlich zu machen für die, die diesen Sinn für das Schöne (noch) nicht haben. Aber ist so das Schöne lernbar wie das Gute, Gerechte und Wahre? Lernbar ist doch wohl nur das, was in uns grundsätzlich angelegt ist. Ich lerne immer exemplarisch, ich lerne nie das Ganze. Ich lerne in der Hoffnung, dass das Exemplarische zu einer Ganzheit führt, die immer einen geheimnisvollen Glanz behält, wie viel auch immer ich von ihr weiß und fühle. Das ist in der Mathematik so wie in der Kunst. Es ist das Spannungsfeld zwischen Unerschöpflichkeit und Einheit, wo das Wahre lebt in seinen verschiedenen Erscheinungsformen wie z.B. in Logik, Physik, Mythos, Musik, Kunst.

Ich analysiere das Bild, damit sich über Wiedererkennungseffekte ein Sinn für Bildersprache
entwickelt, damit sich die geheimnisvolle Welt des Schönen immer mehr affektiv und nicht nur
kognitiv erschließen lässt. Natürlich ist dieser Sinn für das Schöne kulturell geprägt genau so,
wie es die Physik ist. So entsteht eine Objektivität des Subjektiven.
Das von Magritte gestaltete Bild ist ein Abbild eines Abbildes und somit der Inbegriff des Subjektiven. Doch wissen wir durch die Schaffung dieser Gestalt und unserer Wahrnehmung derselben anderes über die Welt als wenn wir die Newton'schen Gleichungen oder die Kant'sche Kritik der reinen Vernunft bezüglich des Apriori von Zeit, Raum und Kausalität läsen? Das ist objektiv so und es ist geheimnisvoll. Die Rätselhaftigkeit der Welt spiegelt sich in Kunstwerken wie "La Flèche..." wieder, ohne sie in eine Formel zwingen zu wollen. So können Wahrheiten affektiv wahrgenommen werden und so zeigt sich die Vernunft des Affekts.

Schwebt der Stein oder fällt er? Das ist sie, die geheimnisvolle Welt des Schönen, komponiert in Formen, Farben und Bildern, geschaffene Gestalt. Die Dialektik aus Vielfalt und Einheit nimmt uns gefangen und gleichzeitig stößt sie uns in ihrer Unzugänglichkeit ab. Ihr sich zu nähern bedeutet Mühe und freudvolles Eintauchen in Wirklichkeiten. Die Parallelen zur theoretischen Physik bieten sich geradezu an. In beiden wird ein tiefes Verstehen von Wirklichkeit deutlich ausgedrückt, in der dazu geschaffenen Sprache, seien es die Bildkompositionen oder die Mathematik. Die Inhalte benötigen eben spezielle Ausdrucksformen, die nicht austauschbar sind. Es gibt Wahrheiten, die nicht in einer zweiwertigen Logik darstellbar sind, und andererseits solche, die dieser bedürfen. Ist das Bild vernünftig? Zumindest scheint es nicht logisch zu sein. Aber ist alles Unlogische unvernünftig? (Gerade Logik muss nicht immer vernünftig sein.) So zeigt sich im irrationalen Schönen das rational Nützliche und Wahre.
 
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