Energiefeld der Kursarbeit - Eine Skizze von
Rainer Randig
Das fachliche Spannungsfeld zwischen Kunst und Mathematik eröffnet
für die Kursteilnehmer Möglichkeiten, sich in die Sachbezüge
einzuklinken oder Positionen zu suchen. Die gleichzeitige Präsenz
zweier Bezugsfelder provoziert einen ständigen Vergleich, zusätzlich
sollte das Verhältnis der beiden Vermittler zueinander für
die Schüler ein animierendes Magnetfeld sein, das Erkenntniswillen
wie auch Vertrauen fördert.
Die Inhalte der Kurse haben meistens aufeinander aufgebaut
und sich in der Regel differenzierend entwickelt. Dabei wurden Zusammenhänge
herausgestellt, wie überhaupt die Vernetzung einzelner Themen bei
einem projektartigen Vorhaben von vornherein angelegt ist. Deshalb sollte
die entsprechende Methode zu einer verknüpfenden Reflexion zu kommen,
nämlich mit Mindmaps zu arbeiten, ein Schwerpunkt theoretisch-praktischer
Arbeit in einem nachfolgenden Projekt sein. - Vielleicht würde
dann die Frische und Flexibilität des Lehrer-Lehrer-Schüler-Gefüges
etwas leiden, doch ließe sich vermutlich sicherstellen, dass verwaltungsmäßiges
Aufarbeiten nicht zur Belastung wird. Hier dürften Überraschung
und Spannung nicht erstickt werden, die sich bei der polyvalenten Expedition
leichter und öfter aufbauen als im Einpersonen-Unterricht.
Wenn da zwei Kollegen sind, die ihren Spaß daran haben zu sehen,
was der jeweils andere wohl als inhaltliche Antwort aus seinem Hut ziehen
wird, entsteht ein belebender Wettbewerb, der als Resonanz der Kursgruppe
seine gültige Gestalt bekommen will.
Insgesamt konnten wir diese positive Stimmung öfter spüren,
übrigens besonders bei inhaltlich diffizileren Inhalten, deren
Vermittelbarkeit im Unterrichtsprozess vorher nur vage zu kalkulieren
war. Letztes passt gut zur Kombination mit künstlerischen Ansätzen,
in denen mathematische, philosophische und künstlerische Fragestellungen
während der Werkgestaltung erforscht werden können oder wenn
schwer begreifbare Zusammenhänge über gestalterische Konstruktion
(beispielsweise als experimentelle Kombinatorik) neue Sinnbezüge
erhalten.
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Ist das nicht ein schönes Bild, excellent gemalt, gelungene Farbkomposition,
sozusagen ein ,Hingucker'. Alles passt, ein ästhetischer Genuss,
wenn auch ein bisschen unverständlich -
zunächst - doch jetzt, weitgehend erschlossen, eine Einheit aus
Inhalt und Form, gerade wegen der Unmöglichkeit des Dargestellten.
Doch was soll dieser ästhetische Genuss, oder, um es noch schärfer
zu formulieren:
Was soll uns das Schöne?
1. Das Schöne ist nicht nützlich.
2. Das Schöne ist nicht wahrhaft.
Zu 1.: Die Faulen genießen den Zauber des Schönen, die Fleißigen
produzieren Güter zu eigenem
und fremdem Nutzen. Das Schöne besitzt keinen eigentlichen Wert,
da dieser nur subjektiv ist und auf einem irrationalen Gefühl beruht.
Zu 2.: Das Schöne ist Schein. Es bringt uns nicht weiter auf der
Suche nach Wahrheit. Der Betrachter (unter anderem von "La Flèche...")
verliert sich aus der Haltung der Wahrheitssuche
in die des ästhetischen Genusses, genießt einen Realitätsverlust
als Wohlgefühl (hat sozusagen
die Welt wie im Rausch am Schwanz gepackt), leider nur vorübergehend.
Der Künstler (hier
Magritte) zeigt dem Menschen nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein
Abbild eines Abbildes.
Außerdem sind Erzeugnisse wie "La Flèche..."
nur Dokumente einer hohen handwerklichen Kultur.
Alle drei Kritiken des Schönen lassen sich auf eine zusammenziehen:
DAS SCHÖNE IST NICHT WAHR.
Man kann das jedoch auch anders sehen.
Mit jedem Sinneseindruck, Urteil bzw. Affekt nehmen wir das Allgemeingültige
mit wahr, das diesen Eindruck, dieses Urteil und diesen Affekt erst
möglich macht.
Wie allgemein gültig ist aber das Allgemeingültige, wie wahr
das Wahre? Wie allgemein gültig sind denn z.B. meine visuellen
Eindrücke, wie wahr die Urteile der Physik, die unserer moralischen
Ordnung?
Und das 'Schöne' ist keine Form der Wahrheit?
"La Flèche..."
erzählt von einer geheimnisvollen Welt und erzählt es auf
geheimnisvolle Weise.
Doch wo sind die Inhalte und wie lauten sie? Man kann das analysieren,
das Bild erklären, es in Portionen aufteilen und diese häppchenweise
verabreichen, es seiner Geheimnisse berauben, es entzaubern und all
das, um es bekömmlich zu machen für die, die diesen Sinn für
das Schöne (noch) nicht haben. Aber ist so das Schöne lernbar
wie das Gute, Gerechte und Wahre? Lernbar ist doch wohl nur das, was
in uns grundsätzlich angelegt ist. Ich lerne immer exemplarisch,
ich lerne nie das Ganze. Ich lerne in der Hoffnung, dass das Exemplarische
zu einer Ganzheit führt, die immer einen geheimnisvollen Glanz
behält, wie viel auch immer ich von ihr weiß und fühle.
Das ist in der Mathematik so wie in der Kunst. Es ist das Spannungsfeld
zwischen Unerschöpflichkeit und Einheit, wo das Wahre lebt in seinen
verschiedenen Erscheinungsformen wie z.B. in Logik, Physik, Mythos,
Musik, Kunst.
Ich analysiere das Bild, damit sich über Wiedererkennungseffekte
ein Sinn für Bildersprache
entwickelt, damit sich die geheimnisvolle Welt des Schönen immer
mehr affektiv und nicht nur
kognitiv erschließen lässt. Natürlich ist dieser Sinn
für das Schöne kulturell geprägt genau so,
wie es die Physik ist. So entsteht eine Objektivität des Subjektiven.
Das von Magritte gestaltete Bild ist ein Abbild eines Abbildes und somit
der Inbegriff des Subjektiven. Doch wissen wir durch die Schaffung dieser
Gestalt und unserer Wahrnehmung derselben anderes über die Welt
als wenn wir die Newton'schen Gleichungen oder die Kant'sche Kritik
der reinen Vernunft bezüglich des Apriori von Zeit, Raum und Kausalität
läsen? Das ist objektiv so und es ist geheimnisvoll. Die Rätselhaftigkeit
der Welt spiegelt sich in Kunstwerken wie "La Flèche..."
wieder, ohne sie in eine Formel zwingen zu wollen. So können Wahrheiten
affektiv wahrgenommen werden und so zeigt sich die Vernunft des Affekts.
Schwebt der Stein oder fällt er? Das ist sie, die geheimnisvolle
Welt des Schönen, komponiert in Formen, Farben und Bildern, geschaffene
Gestalt. Die Dialektik aus Vielfalt und Einheit nimmt uns gefangen und
gleichzeitig stößt sie uns in ihrer Unzugänglichkeit
ab. Ihr sich zu nähern bedeutet Mühe und freudvolles Eintauchen
in Wirklichkeiten. Die Parallelen zur theoretischen Physik bieten sich
geradezu an. In beiden wird ein tiefes Verstehen von Wirklichkeit deutlich
ausgedrückt, in der dazu geschaffenen Sprache, seien es die Bildkompositionen
oder die Mathematik. Die Inhalte benötigen eben spezielle Ausdrucksformen,
die nicht austauschbar sind. Es gibt Wahrheiten, die nicht in einer
zweiwertigen Logik darstellbar sind, und andererseits solche, die dieser
bedürfen. Ist das Bild vernünftig? Zumindest scheint es nicht
logisch zu sein. Aber ist alles Unlogische unvernünftig? (Gerade
Logik muss nicht immer vernünftig sein.) So zeigt sich im irrationalen
Schönen das rational Nützliche und Wahre.
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